Skip to main content

Full text of "Der Begriff"

See other formats


Arehiv 


systematische Philosophie 


herausgegeben 
von 


Ludwig Stein. 


Neue Folge 
der 
Philosophischen Monatshafle. 
XVII. Band. 


BERLIN. 
truck und Verlag von Leonhard Simion N£. 
1811. 


XI. 
Der Begriff.) 


A. Levy, Hamburg. 


Der Verfasser ist sich bewußt, mit seinen Auseinandersetzungen 
über das Wesen des Begriffes vielfach im Gegensatz zu der herkömm- 
lichen Ansicht zu stehen; der Leser möge indessen nur dem Gedanken- 
gang ebenso genau folgen, wie ihn der Verfasser erwogen hat, und sich 
dann seine Erkenntnis über den Gegenstand selbst bilden. 

Es sei daran erinnert, daß die klassischen und nachklassischen Lehrer 
der Logik von dem Aussagesatz auszugehen pflegten. Nehmen 
wir z.B. den Satz: der Hund ist ein Haustier, so wurde dieser ein 
Urteil genannt, das die Begriffe „Hund‘‘ und „Haustier“ zueinander 
in Beziehung setzt, wobei es für uns zunächst auf die Art dieser Be- 


!, Diese Abhandlung bildet das 8. Kapitel einer Arbeit, mit deren Vollen- 
dung der Verfasser beschäftigt ist und die in der nächsten Zeit unter dem 
Titel „Versuch einer Neubegründung der Logik“ im 
Druck erscheinen soll. Der Verfasser hat für die Publizierung im „Archiv 
gerade das Kapitel über den „Begriff“ gewählt, weil darin neben den erkennt- 
nis-theoretischen Ansichten des Verfassers auch das für die Arbeit bedeutungs- 
volle methodische Element klar zutage tritt: der Verfasser geht nicht vom 
Denken aus, dessen Unerkennbarkeit in den ersten Abschnitten aufgezeigt 
wird, vielmehr sind es die Denkinhalte, die, je nach dem Grade ihrer 
Vollkommenheit, das Denken zu einem logischen machen können. Damit 
ist zugleich gesagt, daß die logischen Gesetze ihre Wurzeln im Gebiete des 
Anschaulichen haben {darunter auch scheinbar ao abstrakte Sätze, wie z. B. 
der Satz des Widerspruch«),. — Die historisch überkommene Auffassung 
der Logik wird durch diese Betrachtungen allerdings insofern eine nicht un- 
wesentliche Wandlung erfahren, ala das persönliche (oder individuelle) Moment 
dabei mehr zu seinem Rechte gelangt und die Kunst des richtigen Denkens 
danach nicht mehr als Alleingut des wissenschaftlich Gebildeten angesehen 
werden kann. 


Der Begriff. 303 


ziehung hier nieht ankommt. Genug, es gelangte die Auffassung zur 
Herrschaft, unser Denken vollziehe sich in Urteilen, die ihrerseits 
wieder eine Verknüpfung von Begriffen darstellten. Zahllos 
sind die Untersuchungen, Diskussionen, Experimente, Analysen, 
Interpretierungen und Polemiken darüber, ob Begriffe auch an sich 
zur Erkenntnis gelangen können, oder ob sie ihre Wirksamkeit nur 
ale konstitutive Elemente des Urteils entfalten; ob der Begriff an- 
schaulich oder unanschaulich ist, ob er Allgemeines oder Individuelles 
zur Erscheinung bringt. Aus den Legionen von Arbeiten über den 
Begriff leuchtet immer wieder eine fatale Schwierigkeit hervor: 
die Aussage oder das Urteil geht ohne Zweifel auf wirkliche (konkrete) 
Verhältnisse, mit denen unweigerlich Anschaulichkeit verbunden ist. 
Sind nun die Begriffe unanschauliche Urteilselemente, so 
ist nicht recht einzusehen, wodurch sie der Aussare die dieser doch 
unzweifelhaft innewohnende Anschaulichkeit mitteilen; sind die 
Begriffe hingegen rein anschauliche Bestandteile des Urteils, 
s0 fragt es sich, wodurch sie sich von den gewöhnlichen Vorstellungen 
unterscheiden, deren Existenz doch neben den Begriffen behauptet 
wird, Natürlich hat es an Kompromissen nicht gefehlt, die eine Ver- 
einisung der widerstrebenden Gegensätze versucht haben, ohne daß 
man jedoch zu einer allseitig als befriedigend anerkannten oder all- 
gemein akzeptierten Lösung der Aufgabe gelangt wäre. 

Zu der Annahme eines derartigen zwischen dem Anschaulichen 
und Unanschaulichen umherschwankenden Begriffe ist man — und 
zwar schon der Begründer der „Logik“ genannten Disziplin — durch 
folgende richtige Beobachtung bestimmt worden. 

Man hat, wie gesart, der Betrachtung den Aussagesatz zu- 
grunde gelert und diesen als ein Abbild des Urteils aufgefaßt und 
behandelt. Der mit „sein“ als Kopula konstruierte Aussagesatz zeigt 
nun die Eigentümlichkeit, daß anscheinend von dem Subjekt des 
Satzes niemals etwas Individuelles, vielmehr stets nur etwas in gewisser 
Hinsicht Unbestimmtes oder Allgemeines, wie man dies auch bezeichnet 
hat, prädiziert werden kann. Der Hund ist ein Haustier, aber nicht: 
der Hund ist dieses oder jenes Haustier da. Dagegen um- 
gekehrt: dieses Haustier ist ein Hund. Ein Haustier, 
s0 hat man sich gesagt, steht offenbar im Gegensatz zu diesem 
oder jenem Haustier hier; es enthält daher nicht die individuelle 
Anschaulichkeit des uns gegenwärtig gerade interessierenden Haus- 

Archir für syatematischo Philosophie. ZVl1 3, “Mj] 


304 A. Levy, 


tiers, vielmehr haben wir es, wenn wir, wie in dem oben gewählten 
Beispiele, von einem Haustiere sprechen, nur mit den wesentlichen 
Merkmalen des Haustiers, das ist eben der Begriff, zu tun. Steht es 
aber fest, daß das Prädikat „ein Haustier‘ in der Tat ein Begriff ist, 
so folgt daraus auch unmittelbar, daß auch das Subjekt „der Hund“ 
zu den Begriffen zählen muß. Denn der Aussagesatz „der Hund ist 
ein Haustier‘‘ — so die klassische und noch heute verbreitete Ansicht — 
bringt die Identität von Hund und Haustier zum Ausdruck; diese 
Identität kann natürlich nur vorhanden sein, wenn auch das Subjekt 
„der Hund‘‘ wesensgleich mit dem Prädikat, also wie dieses, 
Begriff ist. 

Aus solchen mehr oder weniger scharfsinnigen Erwägungen 
heraus ist man dann zur Subsumption der Begriffe gelangt. Man 
hat die Begriffe nach Inhalt und Umfang unterschieden, die niederen 
den höheren untergeordnet und schließlich den Schwerpunkt der 
Lehre vom Begriffe in dem Verhältnis der Gattungen (Klassen) zu 
den Arten erblickt; gerade hier ist der Punkt, an dem sich, wie im 
vorigen Paragraphen angedeutet, Wissenschaft, d. h. Begriffssystematik 
und Denken gekreuzt haben, was der irrigen Gleichsetzung von Denken 
und Wissenschaft Vorschub leistete. 

Wir wollen jetzt an die Sache einmal von einer anderen Seite 
herantreten, um uns darüber klar zu werden, was wir an dem Begriff 
haben, wenn wir ihn behalten, und was wir an ihm verlieren, wenn wir 
ihn aufgeben. 

Der Angelpunkt des Aussagesatzes ist unzweifelhaft das Wörtchen 
„sein“, Über seine Funktion als Kopula innerhalb des Satzes sind 
die Ansichten noch geteilt, ja, es fragt sich, ob eine scharfe Definition 
der Kopula, die deren Wesen völlig gerecht wird, überhaupt schon 
gegeben worden ist. Gewöhnlich begegnet man der Auffassung, 
daß die Kopula die Identität zwischen zwei Begriffen herstelle und 
dadurch der Verknüpfung des Subjekts mit dem Prädikat Allgemein- 
gültigkeit verleihe: die Kopula konstituiert danach das Urteil Wie 
die Kopula jene Identität möglich macht und überhaupt möglich 
machen kann, ist allerdings nicht ohne weiteres einzusehen, da „‚sein‘* 
— d.i. die Kopula — im Satze doch nur als Wort steht und in 
dieser Eigenschaft befähigt sein soll, die Übereinstimmung von 
zwei Begriffen — des Subjekts und Prädikats — zu begründen. Nach 
der herrschenden Ansicht schließt nämlich jeder Begriff eo ipso das 


Der Begriff. 305 


„sein“ notwendig ein, mithin würde die Kopula begrifflich 
als „sein‘‘ nicht zu den Begriffen von Subjekt und Prädikat hinzu- 
treten, vielmehr könnte es sich nur um das verbale „sein‘‘ handeln. 
Wir werden hierauf noch zurückkommen; einstweilen begnügen wir 
uns damit, die Wichtigkeit des kopulativen „sein‘‘ für den Aussagesatz 
zuzugeben. 

In der Tat besitzt das Hilfszeitwort „sein“ eine Elastizität, die es 
vor seinesgleichen wesentlich auszeichnet. Man kann „sein‘‘ mit allem 
Verbalen verbinden: Adjektiv, Substantiv, Pronomen, Adverb usw. 
gehen als Prädikate einen innigen Konnex mit der Kopula ein. Der 
Hund ist treu, der Hund ist ein Haustier, ich bin der 
deinige, erist hier, in diesen Sätzen ist die Kopula mit dem 
eigentlichen Prädikatträger nahezu verschmolzen. Nur eine Deter- 
minierung läßt sich das „sein‘‘ nicht gefallen, nämlich die Ein- 
schränkung auf die Zahl. Sobald man versucht, „sein“ auf eine be- 
stimmte Zahl festzulegen, versagt es sprachlich überhaupt oder es 
macht die bestimmte Zahl wieder zur allgemeinen. Hierauf beruht es, 
daß man nicht etwa einen Aussagesatz bilden kann; der Hund ist 
dieses Haustier da, oder dergleichen. Denn ‚dieses Haustier‘ 
ist der Zahl nach genau als ein, d. h. „einzigartiges“ Haustier bestimmt; 
eine solche Verbindung kann aber das Hilfsverb ‚sein‘ nicht eingehen, 
was nach den folgenden sprachphilosophischen Bemerkungen ein- 
leuchten wird, 

Wählen wir der Deutlichkeit halber wieder als Beispiel den Aus- 
sagesatz „der Hund ist ein Haustier‘, so müssen wir uns zunächst 
darüber Rechenschaft geben, womit eigentlich die Kopula verbunden 
ist. Offenbar scheint das Prädikat „ist ein Haustier‘ zusammenzu- 
gehören, während das „Subjekt der Hund‘ eine entferntere Stellung 
der Kopula gegenüber einzunehmen scheint. Aber s0 selbstverständlich 
dies auch aussieht und so häufig die Richtigkeit solcher Annahme’ 
auch stillschweiegnd vorausgesetzt wird, so wenig dürfen wir uns bei 
dem immerhin subjektiv gefärbten Eindruck einer noch so großen 
Evidenz beruhigen. Wodurch ist es begründet, die Worte „ist ein 
Haustier‘ ala eng miteinander verbunden zu betrachten, dagegen - 
den Zusammenhang zwischen Kopula und Subjekt als lose zu 
betrachten? 

Mit Unrecht hat man verschiedentlich Versuche gemacht, dem 
Verbum „sein‘‘ da, wo es als Kopula auftritt, eine von dem mit ihm 

ar 


306 A. Levy, 


gewöhnlich verknüpften Sinn abweichende, eigene Bedeutung zu 
imputieren. Denn der Kopula ist es, wie man richtig erkannt hat, 
zuzuschreiben, daß der Konnex zwischen zwei Wortgruppen zu einem 
Urteil wird und gegenständlich aufzufassen ist; für die 
Perzeption eines Gegenstandes, wie namentlich eines dinglichen, ist 
aber das Bewußtsein des Seins unerläßlich, mithin ist auch in der 
Kopula „sein‘‘ das ursprüngliche Wesen des Verbums „sein‘ wirksam. 
Was wir von dem Verbum „sein‘‘ erkennen, wird also auch für die 
Kopula Gültigkeit haben. 

Die Sprache sol Wahrnehmungen veranschaulichen. Wahr- 
nehmungen erscheinen uns unter der Form des Seins, und zwar eines 
bestimmten (modifizierten) Seins, nicht etwa eines allgemeinen, 
alle Seinsarten in sich enthaltenden Seins. Daraus erklärt es sich, 
warum das Verbum „sein‘‘, falls es nicht in ganz bestimmter anderer 
Bedeutung gebraucht wird, in der Sprache stets determiniert werden 
muß: die Art des Seins, um die es sich in dem einzelnen Falle handelt, 
muß jedesmal verdeutlicht werden. „Der Hund ist“, diese Worte 
vermögen, mit anderen sprachlichen Sätzen verglichen, eine Anschau- 
ung überhaupt nicht liefern, und zwar um deswillen nicht, weil das 
Wöärtehen ‚ist‘ hier das undeterminierte Sein darstellt; auf eine 
andere Interpretation des Satzes soll sogleich noch eingegangen werden, 
einstweilen halten wir an dem Gesagten fest. Das „sein“ muB also 
um Bildkraft zu erlangen, determiniert werden, was hier die Worte 
„ein Haustier‘ besorgen. Es ist gleichgültig, ob das Prädikatswort 
auf die Frage wie oder was antwortet, z. B. wie (oder was) ıst 
der Hund? Antwort: der Hund ist treu; oder was ist der Hund? 
Antwort: der Hund ist ein Haustier. In dem einem wie dem anderen 
Falle haben wir es mit einer Determinierung der Kopula „ist“ zu 
tun: das Sein hat eine Anschauungsform bekommen. Wie schon 
oben erwähnt, beruht diese sprachliche Eigentümlichkeit darauf, 
daß sich die Wahrnehmungen uns nur als individuelle oder artbe- 
stimmte Wahrnehmungen manifestieren. Die Dinge — und 
nur auf diese bezieht sich die Sprache — erscheinen uns immer und 
"überall zugleich mit ihren Eigenschaften, dies Wort im weitesten Sinne 
genommen. Wir sehen niemals bloß ein Blatt, wir erblicken vielmehr 
ein grünes, ein dürres, ein rotbraunes, ein gelbes, kurzum ein irgend- 
wie gefärbtes Blatt; wir hören nicht bloß einen Klang, wir hören 
zugleich einen hellen, einen schrillen, einen dumpfen, einen monotonen, 


Der Begriff. 307 


kurzum einen irgendwie abgestimmten Klang. Man kann dies auch 
so ausdrücken, und damit werden wir der inneren Natur dieser Vor- 
gänge am besten gerecht, indem man sagt, daß wir die Dinge stets 
innerhalb einer ihnen zukommenden Zuständlichkeit er- 
fassen, ein Problem, dessen tieferliegende Wurzel uns weiter unten 
noch beschäftigen wird. 

5o aufgefaßt, produziert der Satz „der Hund ist ein Haustier‘“ in 
unserem Bewußtsein die Vorstellung eines Hundes, die von einer ganz 
bestimmten Zuständlichkeit beherrscht wird; wir empfangen nämlich 
das Bild eines als Haustier dienenden Hundes. Dabei unter- 
scheiden wir deutlich, daß hier der „Hund und nicht etwa „das 
Haustier‘ unter dem Zeichen der Zuständlichkeit steht, d. h. wir 
begreifen hier den Hund unter der Modifizierung des Haustieres, 
nicht aber das Haustier, modifiziert durch den Hund ?). Sonst müßte 
der Satz lauten „das Haustier ist ein Hund“. In dem Beispiel ‚der 
Hund ist ein Haustier‘ sind die Worte „der Hund‘ befähigt,inner- 
halb des Satzes die Vorstellung des Hundes zu produzieren. 
Demnach kann dem Subjekt „der Hund‘ nicht gleichzeitig auch das 
Vermögen zukommen, die Zuständlichkeit auszudrücken, da diese 
nicht mit dem Subjekt zusammenfällt: wir nehmen deutlich das 
„Ding“ in einem bestimmten Zustande wahr, und die Sprache hat dies 
zu reproduzieren. Andererseits ist die Zuständlichkeit doch in unserem 
Exempel wiedergegeben, und, da die Kopula „ist“ allein ein art- 
bestimmtes Sein nicht repräsentiert, müssen die Worte „ein Haustier‘ 
als determinierende Worte von „Sein‘‘ angesehen werden. Ganz 
richtig nimmt die Grammatik dem oben Gesagten entsprechend an, 
in dem Prädikat verschmelze die Kopula mit dem zu ihr gehörenden 
Bestimmungswort. 





2) Die Wahrnehmungen bilden, wie schon an dieser Stelle bemerkt 
sein mag, eine komplexe Manifestation unseres Bewußtseins und stellen 
also nicht die letzten Elemente unseres Erkennens dar. Auf dem \WVege 
nachträglicher Reflexion können wir daher stets analysierend feststellen, 
welcher Gegenstand und welcher Zustand dieses Gegenstandes zugrunde liegt. 
Der sprachliche Satz kann nicht in solcher Weise 
zerlegt werden, weiler nur Wahrnehmungen zu ver- 
anschaulichen hat und die hinter diesen verbor- 
genen Gebilde von der Sprache überhaupt nicht 
betroffen werden. 


208 A. Levy, 


Jetzt haben wir darüber Klarheit erlangt, daß jenes eigenartige 
Verhältnis, in dem die Kopula des Aussagesatzes zu ihrem Prädikat- 
worte steht, rein sprachlicher Natur ist und nicht mehr oler 
minder gewaltsam mittelst einer hinzugedachten Identität erklärt 
zu werden braucht. Es ist schon gesagt worden, daß „sein“ jede | 
Determinierung verträgt, mit alleiniger Ausnahme der De 
terminierung durch die Zahl. Sätze wie „jene Löwen sind hundert 
Raubtiere‘‘, „ein Dutzend sind zwölf‘ betrachtet die Sprache und 
Logik als widersinnig. Gerade der Satz „ein Dutzend sind zwölf 
zeigt evident, daß hier nicht etwa die Relation der Identität zwischen 
Subjekt und Prädikat mitspielt; sonst müßte die Gleichsetzung des 
„Dutzend‘‘ mit „zwölf“, deren Bedeutung doch dieselbe ist, mittelst 
der bloßen Kopula möglich sein. In dem auf einem nachlässigen 
Sprachgebrauch beruhenden Satze „ein Dutzend Menschen sind 
zwölf Menschen‘ muß es richtig heißen „sind gleich zwölf Men- 
schen‘ ; läßt man das Wörtehen „gleich“ weg, so nimmt die Kopula 
„sind‘‘ ohne weiteres die Bedeutung von „gleichsein‘‘ an: man kann 
den Sinn des Satzes ganz genau unter Anwendung des mathematischei 
Gleichheitszeichens wiedergeben, indem man die Formel aufstellt: 
1 Dutzend Menschen = 12 Menschen, d. h. die beiden Wortgruppen 
bleiben unverbunden, die KERN Verschmelzung 
ist nicht zustande gekommen. 

Daß „sein‘“ nicht durch die Zahl determiniert werden kann, 
erklärt sich aus der Eigenart des Zahlenmäßigen. Die Zahlen bilden 
eine fortlaufende Reihe, und mit jeder Zahl, die wir aus ihr heraus- 
greifen, nerieren wir sämtliche andern Zahlen. Jede Zahl wird näm- 
lich nur so begriffen, daB wirihrer Stelle innerhalb der Zahlen- 
reihe inne werden; dadurch betrachten wir sämtliche übrigen Zahlen 
als konstitutive Elemente für die uns gerade interessierende Zahl, 
d. h. wir sehen von den Stellen, die die anderen Zahlen in der Reihe 
einnehmen, ab, was wieder soviel heißt, daß wir das Sein der ein- 
zelnen anderen Zahlen ausschließen. Das Sein ist nun allen Wahr- 
nehmungen immanent; das Sein durch die Zahl determinieren, würde 
mithin soviel bedeuten, als das Sein auf eine bestimmte Wahrnehmung 
beschränken oder, was dasselbe ist, alle übrigen Wahrnehmungen 
des Seins für verlustig erklären. In Übereinstimmung hiermit ver- 
hält sich das Wort „sein‘‘ im negativen Satze. In dem negativen 
Satze „der Fuchs ist nicht ein Haustier‘‘ verschmilzt die Ver- 


Der Begriff. 309 


neinung mit dem Artikel und der Satz lautet „der Fuchs ist kein 
Haustier“. Geschähe dies nicht, so würde der Artikel „ein‘‘, indem 
er den Ton erhielte, zum Zahlwort werden und der Satz die Form 
annehmen: „der Fuchs ist nicht ein Haustier‘, eine Sprachverbin- 
dung, die unmöglich ist. Hingegen trägt die Verschmelzung ‚kein‘ 
der Universalität des Wortes „sein“ Rechnung, da das unbe- 
stimmte Zahlwort „kein“ ebenso wie das positive „ein‘' sämtliche 
mögliche Wahrnehmungen einer gewissen Art umfaßt ?®). 

Nach diesen Erörterungen wenden wir uns wieder dem Aus- 
gangspunkte unserer Betrachtung zu, die damit einsetzte, daß wir 
uns wunderten, wie es scheinbar unmöglich sei, von einem Gegen- 
stande etwas Konkretes auszusagen und wie Urteile von der 
Gestalt des Satzes „der Hund ist dieses Haustier‘ nicht gebildet 
werden könnten. Die Erklärung für jene Erscheinung ist nun leicht 
gegeben. Die Determinativa „dieser“, „jener‘‘, „solcher‘‘, das be- 
stimmte „der, die, das‘ usw. schränken die Worte, mit denen sie 
verbunden werden, auf etwas Individuelles, besser: auf ein Ein- 
zelnes ein, womit zugleich die übrigen Glieder der Wahrnehmungsweise 
negiert werden. Das „sein‘‘ erlaubt eine derartige Verdichtung, die zu- 
gleich eine Ausscheidung seines wesentlichen Gehalts — der 
Möglichkeit, jeder Wahrnehmung die Existenz zu leihen — ein für 
alle Mal nicht, und hierauf beruht es, daß der mit „sein“ 
konstruierte Aussagesatzim Prädikat niemals 
Konkretaals Nomen haben kann. Wir haben es hier 
alao mit einem reinsprachlichen Vorgang zu tun, der indessen 
von altersher als ein logisches Phänomen gedeutet worden ist. In 
dem Satze „der Hund ist ein Haustier“, so hat man argumentiert, 
bedeutet „ein Haustier‘ nicht dieses oder jenes wirkliche Haustier, 


7) Die übrigen Verben verhalten sich in bezug auf den negativen Aus- 
druck verschieden, je nachdem sie der Bedeutung des Wortes „‚sein”, das 
ihnen allen innewohnt, näher oder entfernter stehen. Manche lassen die 
Negation mit „‚nicht‘' und auch die mit ‚‚kein“‘ zu, beide allerdings in einer 
scharf getrennten Anwendung; z. B. „der König trinkt einen Becher Wein“ 
kann heißen „der König trinkt gerade jetzt (Präsens) einen Becher Wein‘ 
oder ‚„‚der König trinkt überhaupt (generell) einen Becher Wein“. Dem 
enteprechen zwei Formen der Verneinung: „der König trinkt nicht einen 
Becher Wein (Präsens) und ‚der König trinkt keinen Becher Wein 
(überhaupt nicht)“. Der gute Stil beachtet diese Unterschiede in der 
Schreibweise wohl. 


310 A. Levy, 


nein, es handelt sich hier um den Inhalt der charakteristischen Merk- 
male des Haustiers, um das Haustier überhaupt, d. h. um etwas All- 
gemeines oder den Begriff des Haustier. Da man ferner die 
Analyse des Satzes so vornahm, daß man — gleichviel, ob auf der 
Grundlage der Identität oder der Subsumption — eine Überein- 
stimmung zwischen dem Subjekt „Hund‘‘ und dem Prädikats- 
nomen „Haustier“ statuieren zu müssen glaubte, so war es nur natür- 
lich, daß auch der „Hund‘‘ mit dem Überwurf der Allgemeinheit 
angetan, daß auch er zum Begriffe wurde und sich die Doktrin 
erhob, im Urteile, d. i. in der Aussage, verbänden sich Begriffe und alles 
Denken vollziehe sich nur mittelst der Begriffe. Konsequenterweise 
mußten auch die Prädikate, die von Verben, Adjektiven usw. ge- 
bildet wurden, Begriffe sein. 

Dazu kam noch ein anderes. Schon der große Systematiker des 
Altertums und Schöpfer der Logik hatte die Aufmerksamkeit auf 
die Composita unter den Substantiven lenken zu müssen geglaubt, 
und aus ihnen Schlüsse in bezug auf die Logik gefolgert. Gäbe es 
z. B. ein „Wassertier“‘, so sei die conditio sine qua non, dab mindestens 
ein Tier (überhaupt) existiere. Dasselbe könnte man von allen zu- 
sammengesetzten Substantiven, wie Raubvogel, Edelwild, Frühlings- 
blumen, Kinderherz usw. behaupten. Auch diese Ärgumentierung 
beruht auf einer Verwechslung des Sprachlichen mit dem Gedank- 
lichen. 

Composita nennen wir solche Substantive, die wir — einerlei, 
ob mechanisch unter dem Einflusse des Sprachgebrauchs oder bewußt 
— vermittelst des Zusammensetzens zweier oder mehrerer Worte 
erzeugen; meistens fügen wir zu diesem Behufe Substantive 
aneinander, manchmal verbinden wir Adjektiv und Substantiv und 
in noch selteneren Fällen wählen wir das Verbum oder eine andere 
Wortart als cherakteristische Beigabe für das Substantiv. Es ver- 
steht sich, daß hiernach jeder Teil des Compositums auch für sich als 
Wort existieren muß; denn nach der Definition ist die Vereinigung 
der beiden (oder mehrerer) Glieder des Compositums ja von uns 
vorgenommen worden, Ganz entgegengesetzt verhält es sich aber 
mit dem Bedeutungsinhalt des zusammengesetzten Sub- 
stantivs. 

Die Vorstellungen oder besser: de Denkinhalte sind uns 
gegeben, und es steht nicht in unserer Willkür zu bestimmen, ob 


Der Begriff. 311 


wir diesen oder jenen Denkinhalt perzipieren wollen; wir können 
wohl sagen, jetzt will ich das eine oder jetzt das andere Ding wahr- 
nehmen, wie wires wahrnehmen, d.h. doch, welche Denkform 
daraus für uns entsteht, dies hängt jedesmal von der Verfassung 
unseres Bewußtseins ab, die wieder auf Imponderabilien gegründet ist. 
Hinter die Denkinhalte können wir demnach nicht schauen. 
Nehmen wir einmal an, das „Wassertier‘‘ bilde unseren Denkinhalt, 
so steht nach dem Gesagten fest, dab dieser Denkinhalt nicht etwa 
künstlich von uns produziert ist, also z. B. nicht etwa so, wie wir das 
dem Denkinhalt entsprechende Wort Woassertier aus „Wasser“ 
und „Tier zusammensetzen würden. Immerhin könnte eine 
reflexive Betrachtung des Denkinhalts „Wassertier‘‘ vielleicht 
ermitteln, daß sich dieser in zwei Vorstellungselemente zerlegen 
läßt und sich das Ganze als eine Synthese darstellt. Als solche Elemente 
könnte die Analyse hier z.B. erstens das Tier überhaupt 
und zweitens das Wasser, worin dieses „Tier‘‘ lebt, feststellen, 
Damit wäre aber durchaus noch nicht erwiesen, daß nun auch jedes 
bei der Zergliederung gefundene Vorstellungselement als selbst- 
ständiger Denkinhalt ein Leben geführt haben muß; 
denn dies würde die Argumentation voraussetzen, daß alles, was in 
einer Verbindung (also innerhalb einer Synthese) vorhanden ist, 
auch immer allein, d.h. für sich zu existieren vermag, ein Schluß, 
dessen Fehlerhaftigkeit offen zutage liegt. | 

Nur da trifft diese Behauptung zu, wo die einzelnen Elemente 
der Verbindung Summanden sind und die Verbindung selbst 
eine Summe darstellt, eine Art des Zusammenfassens, die eigentlich 
gar nicht mit dem Terminus Synthese zu, bezeichnen ist. Betrachten 
wir die Formel 1+2=3 oder a+b =s (Summe), so müssen die 
Summanden 1 und 2 sowie a und b auch für sich existieren 
können; denn die Summen 3 und s enthalten schließlich nur einen ver- 
einfachten Ausdruck für die summierten Einheiten, selbst de Funk- 
tion des Vereinigens hat mit der Summe nichts mehr zu tun, da 
sie mit dem Pluszeichen zugleich gegeben wird. Läßt man die Summe 
als eine Verbindung gelten, so ist es für diesen Fall allerdings richtig, 
daß die Elemente, die innerhalb der Verbindung existieren, 
auch für sich existieren können. Die von uns gebildete Wortsumme 
Wassertier bedingt es, daß auch die Worte „Wasser und 
„Tier‘‘, und zwar jedes allein, in der Sprache vorhanden sein müssen. 


312 A. Lerrv, 


Demgegenüber ist zu beachten, daß die Vorstellung oder der 
Denkinhalt ‚„Wassertier“ uns, wie oben erläutert, als ein Ein- 
zelnes, enNichtzusammengesetzes erscheint; wollen 
wir es reflexiv auflösen, so müssen wir davon ausgehen, daß wir es mit 
einem Ganzen zutun haben und daß die Elemente, die wir mittels 
Analysierens finden, Teile dieses Ganzen sind. Im Gegensatze zur 
Summe, dieeine Mehrheit angibt, bedeutet ds Ganze eine 
Einheit, mag es aus noch so vielen Teilen zusammengesetzt sein. 
Die Definition des Teiles verbietet diesem aber, für sich selbst 
zu existieren, sie verlangt vielmehr, daß er, wo und wie er auch er- 
scheint, ständig auf seinen Zusammenhang mit dem Ganzen hinweist. 
Die Arithmetik drückt dieses Teilverhältnis am schärfsten aus, indem 
sie Y/,o, %/, oder a/b schreibt und dadurch anrzibt, daß die Teile 1,2 
oder a ohne die Ganzen (\enner) 10, 5 oder b überhaupt nicht gedacht 
werden können. Auf unser Beispiel vom Wassertier angewandt, 
würde daraus die Lehre zu ziehen sein, daß bestenfalls die reflexiv 
vorgehende Analyse das Ganze des Denkinhalts ‚Wassertier“ 
in zwei Elemente zu zerlegen versucht sein könnte; da sich jeder 
Denkinhalt als eine Einheit (oder ein Ganzes) manifestiert, so 
kann auch der Denkinhalt „Wassertier‘ wie jede andere Einheit 
nurin Teile zerlert werden, von denen jeder einzelne diese Einheit 
(d.i. sein Ganzes) veranschaulicht. Würden die Teile auch für 
sich bestehen, so würde dieEinheit (d. i. das Ganze) aus Mehr- 
heiten zusammengesetzt sein, was widersinnig wäre. Kurzum, 
der analytisch gefundene Teil „Tier überhaupt‘‘ könnte selbst- 
ständig nicht existieren; er käme nur soweit in Betracht, als er 
auf seine Weise den Denkinhalt „Wassertier‘‘ mit ausdrückt. Ebenso- 
wenig kann man sich etwa einen Radius ohne sein Ganzes, d. i. den 
Kreis, oder die Linie ohne ihr Ganzes, d. i. die Fläche, denken. Der 
Satz, wenn ein Wassertier als Denkinhalt existiere, so müsse auch, 
retrennt von ihm, mirmdestens die Idee eines Tieres überhaupt gedacht 
werden können, besteht also zu Unrecht; er ist nur dann gültig, wenn 
er, auf da Sprachliche eingeschränkt, ausdrücken soll, dab 
mit dem Kompositum Wassertier zugleich auch zugegeben ist, dab 
die Bildungen „Wasser“ und ‚Tier‘ ebenfalls selbständige Worte sind. 
Ja, noch mehr, die Art der Verbindung zeigt ferner an, daß das Wort 
„Tier“ einer mannigfachen Determinierung fähig ist, wie z. B. in 
Landtier, Lufttier usw. Gerade dieser Umstand ist es, der das rein 


Der Begriff. 313 


Sprachliche ins Logische verdreht und dadurch wesentlich dazu bei- 
getragen hat, den Begriff samt seinen Klassen und Ordnungen zu 
schaffen. 

Dieser Tatbestand wird erst in das rechte Licht gesetzt, wenn wir 
auf die Definition des Begriffes zurückgehen, die fordert, daß der 
Begriff mit seinem Gregenstande übereinstimmen müsse. Ist es zu- 
treffend, daß wir Erkenntnis dadurch gewinnen, daß wir Begriffe 
miteinander vergleichen, so kann solche Erkenntnis nur dann wahr 
genannt werden, wenn auch die den Begriffen entsprechenden Gegen- 
stände sich in derselben Weise miteinander vergleichen lassen, wie es 
ihre Begriffe gestatten. Umgekehrt müßte nach jener Auffassung 
in allen Fällen, wo die Gegenstände sich miteinander vergleichen lassen, 
auch eine Komparierung der ihnen korrespondierenden Begriffe 
möglich sein; denn Vergleichen überhaupt ist ein Denkakt (Urteil), 
der — immer nach jener Ansicht — nur unter Zuhilfenahme von - 
Begriffen zustande kommen soll. Da nun alleGegenstände 
ausnahmslos miteinander verglichen werden 
können undes von jedem Gegenstand einen Be- 
eriff geben soll, müßten auch alle Begriffe 
unter sich vergleichbar sein. 

Daß alle realen Dinge miteinander verglichen werden können, 
ist eine Vorbedingung unseres Erkennens überhaupt; worauf dieses 
Phänomen beruht, werden wir später zu erklären suchen. Einstweilen 
genüge es, daran zu erinnern, daß wir in unserem Bewußtsein nur um 
deswillen von einem Gegenstand zum andern zu gelangen vermögen, 
weil wir je einen mit dem anderen vergleichen können. 

Dieser Eigentümlichkeit der erkennbaren Gegenstände vermag 
der Begriff nicht gerecht zu werden. Nur gewisse Begriffe lassen sich 
miteinander vergleichen, woraus man verkehrterweise schließen zu 
müssen glaubte, auch in der Empirie seien es nur gewisse Dinge, die 
sich miteinander komparieren lassen. 

Allerdings hat man sich, und dies seit der Zeit der Begründung der 
Logik, eine andere Methode des Vergleichens gemacht, als wir es hier 
tun. Nach dem Prinzipe der Identitättheorie hat man den einfachen, 
mit der Kopula ‚sein‘“ konstruierten Aussagesatz als einen Typus 
des Vergleichens betrachtet und jedesmal, wenn Subjekt und Prädikat 
logischerweise die Verbindung zu verweigern schienen, die Erklärung 
formuliert, es handle sich um zwei verschiedene Kategorien von 


314 A. Levy, 


Gegenständen, die nicht miteinander verglichen werden könnten. 
Bilden wir zur Erläuterung etwa den Satz: das Gold ist schief. Die 
Erklärung dafür, daß dieses Urteil anscheinend sinnlos ist, hat man 
etwa so gegeben: „Gold‘‘ ist eine Kategorie für sich, nämlich die der 
Substanz (odole), ebenso ist „schief“ eine Kategorie für sich, 
und zwar die der Lage (xefodas). Beide Kategorien repräsentieren 
zwei oberste Klassen von bestimmten Dingen, auf die man diese durch 
Abstraktion zurückführen kann. Dabei hat man aber übersehen, 
daß in dem Satze „das Gold ist schief“‘ von einem Identitätverhältnis 
oder einer Vergleichung gar nichts gegeben ist; wie wir oben aus- 
führlich erörtert haben, muB die Kopula „ist“ in dem ursprünglichen 
Sinne des Zeitworts „sein‘‘ genommen werden, und das Adjektiv 
„schief‘‘ bedeutet nichts als eine Determinierung dieses Seins (den 
Zustand). Daß uns diese Determinierung unrichtig erscheint, beruht 
‚ hier auf der Unmöglichkeit, einen Denkinhalt „das Gold ist schief“ 
zum Gegenstand unserer Anschauung zu machen; so wenig wie wir 
mit Sätzen wie „das Gold ist grün‘‘ oder „das Gold ist ein Haustier“ 
eine uns zusagende Erkenntnis verbinden können. Was sich dem 
widersetzt, muB in unserer Anschauung, d.h. in einem ganz 
bestimmten vorhandenen Denkinhalt, liegen, nicht etwa bloß 
darin, daß das Gold in seiner Eigenschaft als Begriff die Ver- 
schmelzung mit dem kategorial anders gearteten Begriff „schief“ 
nicht einzugehen vermag. Auf der einen Seite steht ja fest, daB wir 
mit dem Metall „Gold“, mögen wir es nun als „gelb“, „schwer“, 
„glänzend‘‘ usw. charakterisieren, eine anschauliche Vorstellung ver- 
binden; auf der anderen Seite wissen wir, daß der Beeriff, da er 
alle wesentlichen Merkmale eines Objekts umfassen soll, unanschau- 
lich ist. Da nun anerkanntermaßen alle Urteile auf ein wirkliches 
Sein gehen, muß auch das Urteil „das Gold ist schief‘‘ einen Denk- 
inhalt, d.i. ein anschauliches Sein repräsentieren: sollte etwa das 
Begriffsverhältnis von „schief‘‘ und „Gold‘‘ daran schuld sein, 
daß unsere Erkenntnis jenem Urteil die Aufnahme verweigert, so müßte 
wohl oder übel dabei ein Unanschauliches (d.s. die Begriffe 
„Gold“ und „schief‘‘) im Spiele sein, was indessen von uns nicht ein- 
gesehen werden könnte. Denn wir können nur verstehen, daB zwei 
anschauliche Denkinhalte einander den Platz streitig machen, 
nicht aber, daß ein Unanschauliches sich unter die Denkinhalte mischt 
und diesen oder jenen zurückhält. Wie ein Unausgedehntes, wenn es 


Der Begriff. 315 


so etwas gäbe, dem Ausgedehnten nichts anzuhaben vermöchte. In 
der Tat beruht denn auch der Widerstreit in unserem Erkennen, den 
wir konstatieren können, wenn wir den Satz „das Gold ist schief 
formulieren, ganz einfach darauf, daß hier Worte gebraucht sind, 
von denen wir dem Substantiv ‚„Gold'‘ wie dem Adjektiv „schief“ 
sonst in einem anderen Zusammenhang zu begegnen gewöhnt sind. 
Auch so ergibt der Satz „das Gold ist schief“ allerdings eine 
(etwa eine verzerrte) Anschauung; nur, daß diese mit dem 
Zustande, unter dem wir das Gold sonst zu erkennen pflegen, wenig 
oder nichts zu tun hat. Um die Vorstellung des Goldes in uns her- 
vorzurufen, hätten wir uns eben anderer Wortverbindungen bedienen 
müssen, | 

Die Unvergleichbarkeit gewisser Begriffe hat, wie schon an- 
gedeutet, dazu geführt, Kategorien des Denkens zu bilden. 
Gerade diese Tat, auf die sich der Begründer des Kritizismus nicht 
wenig einbildete, läßt aber mit einem Schlage das kunstvoll errichtete 
Gebäude von Begriffen zusammensinken und zu dem werden, was es 
wahrhaft ist: zur Sprachform. Ein Blick auf das Wesen der Sprache, 
das im nächsten Abschnitt in den Kreis unseres Lehrgangs herein- 
gezogen wird, vermag uns leicht zu zeigen, wie man lange Sprachliches 
für Geistiges, Wort für Gedanken fälschlich genommen hat. 

Lassen wir die für das Entstehen und die Umbildung einer 
Sprache wichtigen Sprachwurzeln, Umlaute, Silbenstellung usw. 
hier beiseite und betrachten wir bloß die fertige Sprache, wie 
sie von uns gehandhabt wird, so finden wir sofort, daß wir als Grund- 
stock der Sprache die Wörter unddieSätze im Gebrauch haben. 
Dem trägt die Grammatik Rechnung, indem sie eine Formenlehre 
und eine Syntax (Satzlehre) zu lehren pflegt. Diese wie jene befaßt 
sich damit, die Regeln aufzustellen, nach denen die Sprachverbindungen 
(nicht Sprech verbindungen!) vor sich gehen. Damit solche Ver- 
bindungen überhaupt möglich sein können, ist es erforderlich, daß die 
Bestandteile der Wörter variabel sind. Die Silben müssen sich ver- 
schieben lassen können, die Substantive, die Artikel, die Pronomen 
müssen flektieren, die Konjunktionen müssen dıe Sätze verknüpfen, 
kurzum, es muß zwischen Wort und Wort, zwischen Satz und Satz 
ein Abhängigkeitsverhältnis hergestellt werden, worin die Glieder ein- 
ander bedingen. 50 muß dem Genetiv des Ärtikels auch der Genetiv 
des Substantivs, der Präposition „mit“ der Dativ folgen, das Relativ- 


316 A. Levy, 


pronomen leitet einen attributiven Nebensatz ein usf. Da nun alle 
diese Verschiebungen schließlich auf ein Plus oder Minus an Silben 
hinauslaufen; da auch das Umlauten von Silben, indem die schwächere 
zur stärkeren wird, oder umgekehrt, sich als eine Zu- oder Abnahme 
des Sprachtons charakterisiert, so kann man mit Recht sagen, der 
ganze Zusammenhang der Wörter wurzele im Quantitativen. 
Eine solche quantitativ aufgebaute Ordnung führt die Bezeichnung 
„System. Jede Kultursprache bildet ein solches System für sich. 

Es gibt aber noch eine andere Methode, die Wörter in einer be- 
stimmten Reihenfolge zu ordnen, 

Um uns das, was wir untersuchen wollen, ganz klar zu machen, 
wählen wir ein konkretes Beispiel, z. B. das Wort „Rind“, Dieses Wort 
hat die Aufgabe, innerhalb des so oder anders gebildeten Satzes 
eine gewisse Vorstellung in uns zu erwecken. Statt dieses Wortes 
können wir aber auch, ohne daß der Sinn verloren zu gehen braucht, 
ein anderes Wort setzen, nämlich — auch dies nur ein Exempel — 
das Wort „Säugetier‘. Sagen wir statt des Satzes „das Rind grast 
auf der Wiese‘ etwa „ein Säugetier, hörnertragend und wiederkäuend, 
grast auf der Wiese‘‘, 30 haben wir das Wort „Rind“ so deutlich um- 
schrieben, daß in der Vorstellung des Hörers über die Natuf 
des (remeinten kaum noch ein Zweifel obwalten kann. Soleher U m - 
schreibungen kennt die Sprache unzählige; jedes Wort, das 
im Satze einen bestimmten Bedeutungsinhalt vertritt, also namentlich 
Substantive, Adjektive und Verben, können in solcher Weise um- 
schrieben werden. 

Ein paar Exempel solcher Stufenfolge mögen das Gesarte ver- 
deutlichen. 

Das Wort „Gesehöpf“ vermag zu umschreiben die Worte: 
Säugetier, Raubtier, Hund, Haushund; 
das Wort „gut vermag zu umschreiben die Worte: 
menschlich, mitleidig, barmherzig, mit- 
fühlend, wohltätig usw. : 
das Wort „gehen‘ vermag zu umschreiben die Worte: 
wandern, sich begeben, schreiten, traben 
USW. 

Dabei handelt es sich nicht etwa um Synonyma, d.h. um Aus- 

drücke, von denen einer für den anderen stehen kann. Das Wort 


Der Begriff. 317 


„Geschöpf‘‘ deckt sich nicht etwa mit dem Worte „Tier“, wohl aber 
läßt sich mittelst des Wortes „Geschöpf‘‘, sofern nur der Satz dem- 
entsprechend gebildet wird, das Wort „Tier‘‘ umschreiben. In dem 
von uns gegebenen Beispiel vermag das Substantiv „Geschöpf‘“ 
offenbar die größte Zahl von Ausdrücken zu umschreiben, nämlich 
Säugetier, Raubtier, Hund, Haushund; schon das Substantiv „Säuge- 
tier‘‘ ist in dieser Beziehung beschränkter, da sich mit ihm nur die 
Substantive Raubtier, Hund, Haushund umschreiben lassen, während 
das Wort „Geschöpf‘‘ mittelst des Substantivs „Säugetier‘“ nicht aus- 
gedrückt werden kann. In weiter abnehmender Richtung 
bewegt sich die Fähigkeit des Umschreibens, wenn wir daraufhin die 
Substantive Raubtier, Hund, Haushund betrachten. Das Wort 
„Haushund‘‘ vermag schließlich nur noch die Spielarten der Haus- 
hunde zu umschreiben, z. B. auf der Straße bellt ein „Windspiel“ 
wäre zu umschreiben durch: auf der Straße bellt ein schlanker, gelb- 
licher, dünnbeiniger Haushund usf. Ob das Wort „Windspiel‘‘ auch 
wieder als umschreibendes Substantiv zu dienen vermag, dies hängt 
davon ab, ob man für die Unterschiede unter den Windspielen ein 
neues Wort geprägt hat. Uns ist ein solches differenzierendes Sub- 
stantiv nicht bekannt, aber der Fachmann wird dies besser wissen. 
Jedenfalls geht aus den von uns angestellten Betrachtungen mit 
Evidenz hervor, daß die Worte auch ihrer Bedeutung nach stufen- 
förmig geordnet werden können, wobei das regulative Prinzip für die 
Aufeinanderfolge je in dem Vermögen des Umschreibens liegt, das 
den Worten untereinander zukommt. Wer die meisten Worte in dieser 
Folge umschreiben kann, steht obenan, wer die wenigsten Umschrei- 
bungen sein nennt, bildet das unterste Glied der Kette. Ganz offenbar 
haben wir es hier mit einer quantitativ geordneten Reihe zu tun; 
eine solche führt die Bezeichnung „System“. 
Die Sprache kann also von zweierlei Gesichtspunkten aus als 
„Systern“ angesehen werden, nämlich 
erstens: insofern, als die grammatische Zusammenfügung der 
Wörter und Sätze auf einer quantitativen Grundlage 
beruht, 
zweitens:insofern, als die Wörter nach ihrem Bedeutungswandel, 
d.h. ihrer Fähigkeit des Umschreibens, gegeneinander 
geordnet und zu einer geschlossenen Folge verwertet 
werden können, 


318 A. Levy, 


Das erste Verfahren ist maßgebend für die Grammatik geworden; 
das zweite stellt die Methode der Wissenschaft dar. 

Der erste Logiker, der das System der Kategorien aufstellte, 
bildete diese Katerorien — die ihm, dem Griechen übrigens nicht 
etwa als bloße Denkweisen galten — aus Worten, die einerseits der 
erammatischen Ordnung, andererseits aber auch der Bedeutungs- 
ordnung der Sprachmittel entnommen waren, Es handelte sich also 
um eine Mischung, deren Gehalt sprachlich zu nehmen war, während 
er jahrhundertelang den Grundstein für den Bau der Logik liefern 
mußte. Man kann auch nicht sagen, daß die Auffassung des Kriti- 
zismus, der die Kategorien zu Denkfächern herabdrückte, einen Fort- 
schritt über die antike Lehre hinaus bedeutete. Im Gegenteil, es 
scheint verzeihlicher, das einzelne Wort für den Gegenstand oder eine 
Zahl von Gegenständen selbst im Sinne des großen Hellenen zu nehmen, 
als aus der Form der Sätze (oder Urteile), wie es der Kritizismus tut, 
die notwendigen Manifestationen des Verstandes erschließen zu wollen. 
Denn das einzelne Wort kann wenigstens innerhalb des Satzes 
eine Bedeutung erlangen, die sich auf den Gegenstand bezieht; wohın- 
gegen das Ablesen der „Stammbegriffe des Verstandes““ aus den 
sprachlichen Urteilen ein Folgern des Unbekannten aus dem Bekannten 
(d. h. den Sätzen) bedeutet, ein Verfahren, dessen logische Anfechtbar- 
keit gerade der Kritizismus am lautesten betont. Es ist denn auch, 
wie nicht anders zu erwarten war, bei soleher Formulierung nur zu 
sprachlichen Nebeneinanderstellungen gekommen, z. B. die Kategorie 
der Negation, die den verneinenden Urteilen ent- 
sprechen soll, bedeutet nichts, als daß das Wort „Negation‘“ als Mittel 
zur Umschreibung der Worte „verneinendes Urteil‘ dienen kann usw. 

Was wir soeben als Umschreibungsfähigkeit des Wortes kennen 
gelernt haben, pflegt die alte, aber auch noch die spätere und teilweise 
sogar noch die heutige Logik als Überordnung des Begriffes zu 
erklären. Danach stehen die Begriffe untereinander im Verhältnis 
der Über- und Unterordnung: je mehr Begriffe ein Begriff unter 
sich hat, desto höher rangiert er, und umgekehrt. Man hat dies den 
Umfang des Begriffes genannt. Ferner hat man am Begriffe die 
Merkmale unterschieden und sie als den Inhalt des Begriffes 
definiert. Diese Merkmale sind jedoch völlig abhängig von dem Umfang 
des Begriffes und richten sich nach diesem: je größer der Umfang eines 
Begriffes, desto kleiner sein Inhalt (d. h. desto weniger Merkmale sind 


Der Begriff. Ä 319 


ihm eigentümlich). Der Inhait des Begriffes ist mithin nur eine andere 
Ausdrucksart für das, was man auch Umfang heißt. 

Dies alles zeigt zur Genüge, daB wir es in dem Begriffe mit etwas 
Quantitativen zu tun haben. Die grammatische Ordnung 
wie auch die auf dem Umschreibungsvermögen der Worte beruhende 
Ordnung, beide stellen quantitative Systeme dar, was eigentlich 
tautologisch gesprochen ist, da jedes System die Quantität zur kon- 
stituierenden Bedingung haben muß. Der Begriff als Quantitatives 
kann mithin nicht, wie es viele Logiker kritizistischer Richtung er- 
klären, mit seinem Gegenstand übereinstimmen, wofern man dem Gegen- 
stand nicht etwa alle qualitative Beschaffenheit nehmen und ihn 
zum bloßen Quantitativen herabdrücken will. Wir können daher dem 
Begriffe nur unter der Bedingung eine Daseinsberechtigung zukommen 
lassen, daß wirinihm nicht mehr als das Wort erblicken, 
dieses allerdings als Bestandteil der sprachlichen Ordnung, d.h. eines 
Systems genommen. Notwendig scheint es allerdings nicht, für eine 
derartige Betrachtung des Sprachgebildes den Terminus „Begriff“ 
einzuführen; denn wer nur das Wesen der Sprache richtig begreift, 
wird auch ohnedies nicht im Zweifel darüber sein, daß die Wörter 
und Worte, Kettengliedern vergleichbar, mit Häkchen versehen sind, 
mittels deren sie sich zum System aneinanderreihen können. Ganz 
verfehlt ist es aber — wenigstens nach unserer Auffassung — diese zur 
Systembildung befähigten sprachlichen Symbole für Abbilder der 
Gegenstände zu halten: außerhalb des Systems bedeuten die Wörter 
und Worte nichts, ihr Puls beginnt erst zu schlagen, wenn sich 
der ordnende Kreis um sie zu schließen beginnt. Einen Satz oder ein 
Urteil in seine begrifflichen Bestandteile auflösen wollen, dies muß 
als eine rein sprachliche Aufgabe betrachtet werden, die, richtig gelöst, 
nur ein sprachliches Resultat liefern kann. Denn, wie gesagt, dem 
einzelnen, d.h. alleinstehenden Worte entspricht so wenig 
ein realer Gegenstand wie eine adäquate Vorstellung; das aus seinem 
geordneten Zusammenhang gerissene Wort verhält sich in bezug auf 
unser Erkennen nicht anders wie jedes andere äußere Objekt, d.h. es 
kann höchstens als assoziative Veranlassung für das 
Entstehen von Bewußtseinsbildern dienen. Was erkenntnistheoretisch 
unter Assoziation zu verstehen ist, dies sollspäter kurz erläutert werden. 

Die Erkenntnis, daß der Begriff in den Bereich des Quan- 
titativen gehört, ist von großer Bedeutung. Denn die quantitativen 

Archir für systematische Philosophie. XVIL& >] 


320 A. Lery, 


Gebilde, auch schlechthin Größen genannt, haben die Eigen- 
tümlichkeit, daß sie ernstlich nicht miteinander verglichen 
werden können. Mithin wird aus Begriffen, da doch zugestandener- 
maßen alle mittelbare Erkenntnis aufdem Wege des Vergleichens 
gewonnen werden muß, im eigentlichen Sinne eine Bereicherung 
unseres Wissens nicht hervorgehen können, 

Schon ein paar aufs Geratewohl herausgegriffene Worte, wie z. B. 
Pflanze und Veilchen (nach der alten Terminologie: Begriffe) 
zeigen, daß sie, einem System, d.h. der Qantität angehörend, mit- 
einander nicht verglichen werden können. Man kann höchstens fest- 
stellen (um mathematisch zu sprechen), wie oft das Wort Veilchen 
in dem Worte Pflanze enthalten ist; dies ist indessen nichts neues, 
da die Ordnung der beiden Worte zueinander ja von uns selbst vor- 
geschrieben ist, d.h. das Bıldungsgesetz,. das zwischen ihnen 
obwaltet, haben wir selbst gegeben. Allerdings ist damit das Wesen 
der Quantität und namentlich die Unmöglichkeit, aus quantitativen 
Synthesen (d.h. durch Vergleichen) Erkenntnis zu gewinnen, bei 
weitem noch nicht völlig erklärt. Dies kann aber hier noch nicht ge- 
schehen. weil wir, um die Richtigkeit des von der Quantität Gesagten 
wirklich einsehen zu können, erst noch etwas über die Urteile und 
das Verhältnis des Erkennens zum Sein wissen müssen, Fragen, 
die in den folgenden Kapiteln zur Erörterung gelangen sollen. Hier 
kann nur noch hinzugefügt werden, daB alle Erkenntnis schließlich 
Erkenntnis vom Sein ist; alle Unterschiede zwischen unseren 
Denkinhalten müssen also, da diese immerdar das Sein einschließen, 
Unterschiede des Seins darstellen; oder, anders ausgedrückt, alles 
Vergleichen und Unterscheiden kann nur besagen, wieweit einem 
Denkinhalt überhaupt Sein zukommt und wie dieses Sein in die 
Erscheinung tritt. In jedem Falle kommt es zunächst auf das Er- 
kennen von Seiendem an, wo wir wirkliches Wissen aus 
dem vergleichenden Denken schöpfen wollen: alle Unterschiede sind 
Unterschiede des Seins usw. Im Gegensatze hierzu fordert. 
dieQuantität,. dab die Frage des Seins in bezug auf das Quanti- 
tative ganz ausgeschieden wird. In der Zahlreihe hat die Zahl 3 nicht 
mehr Sein als die Zahl 1, da die 3 sich jederzeit dureh die dreifach 
gesetzte Zahl 1 darstellen läßt, was unmöglich wäre, wenn die 3 mehr 
Sein hätte als die 1, oder wenn sie ein anderes Sein hätte als die 1, 
d.h. wenn 3 in der Zahlreihe für die Erkenntnis mehr 
hedeutete, als die Summe dreier Einheiten. 


Der Begriff. 321 


Die Zahlen können allerdings auch als außerhalb der Zahl- 
reihe stehend an sich betrachtet werden; sie gehören dann jedoch 
nicht mehr in die Quantität und führen eigentlich gar nicht mehr mit 
Recht die Bezeichnung Zahl, wie sich dies später ergeben wird. Dabei 
wird auch die Auffassung, die mit der Zahl als einer diskreten 
Größe operiert, berichtigt werden müssen, 

Da, wie wir zeigen konnten, auf dem Wege des vergleichenden 
Denkens aus „Begriffen“ neue Erkenntnisse nicht zu schöpfen sind, 
so muB man wohl oder übel den Naturwissenschaften darin Recht 
geben, daß sie sich für ihre Forschungen zweckmäßig der induk- 
trtrerMetbude bedienen. Freilich dürfen wir unter dieser nicht 
etwa ein Verfahren verstehen, das seise Kraft ausschließlich aus der 
bloßen empirischen Beobachtung herleitet und das Vorhandensein von 
letzten und allgemein gültigen Sätzen leugnet; eine solche Methode, 
wenn sie sich als solche überhaupt an eine Mehrheit wendet, gibt es 
nicht. Da sie ja ihre eigenen Sätze als „wahr“ ausgeben müßte, würde 
sie diese doch damit als Fundamente und allgemeine Grundlagen 
des Erkennens proklamieren, womit mindestens die Notwendigkeit 
der Anerkennung überempirischer Sätze überhaupt zugegeben wäre, 
Der größte griechische Philosoph hat in den um die Gestalt seines 
Meisters kunstvoll gedichteten Dialogen diesen Standpunkt so gründ- 
lieh ad absurdum geführt, daß uns Späteren nichts übrig bleibt, als 
jene Widerlegung zu bewundern, ohne daß wir ihr etwas hinzufügen 
oder sie gar verbessern könnten, 

Nicht diese Art der induktiven Methode ist es also, der wir das 
Wort reden, vielmehr meinen wir die naturwissenschaftliche Forschung, 
die von der Anschauung, d.h. von den Gegenständen selbst — also 
nicht von den Worten (Begriffen) — ausgeht, um unter Zuhilfe- 
nahme der von der logischen Induktion untrennbaren allgemeinen 
Wahrheiten neue Einsichten zu erlangen. Die systematischen An- 
ordnungen des naturwissenschaftlichen Wissensstoffes sind ein vor- 
treffliches Hilfsmittel für die Beherrschung des mehr und mehr an- 
wachsenden Materials, die Gegenüberstellung einzelner Gruppen, 
Arten, Familien usw. läßt gewisse Zusammenhänge und Verwandt- 
schaften, die einmal festgestellt sind, mit erstaunlicher Deutlichkeit für 
uns hervortreten — wirklich neue naturwissenschaftliche Erkennt- 
nisse können wir aber aus den Beziehungen quantitativ geordneter 

Glieder zueinander nicht herausholen, Soll dies geschehen, so müssen 
21” 


399 A. Levy, 


wir an den einzelnen (Gegenstand herantreten: die bloßen Be- 
griffe oder Worte versagen hier. 

Um Erkenntnisse von den Gegenständen — deren Kenntnis 
immerhin vorausgesetzt werden mag — zu erschließen, genügt es mithin 
nicht, die Begriffe, unter denen wir dasselbe verstehen wie unter den 
Worten, auf Grund quantitativer Gesetze in Beziehung zueinander 
treten zu lassen; es genügt einmal um deswillen nicht, weil alle 
Gegenstände miteinander Relationen eingehen können, während 
die Begriffe dies nur in beschränktem Maße vermögen, dann aber, 
und darin liegt der wesentliche Unterschied von Begriff und Ding, 
um deswillen nicht, weil der Begriff ein gantitatives, also ausmeBbares 
Gebilde darstellt. Begriff und Gegenstand sind folglich nicht kon- 
gruent, ja sie sind nicht einmal ähnlich. Versteht man, wie wir es tun, 
unter dem Begriff das aus seiner qantitativen (grammatischen) Ver- 
bindung losgelöste Wort, so läßt sich das Gesarste auch in den Satz 
zusammenfassen: das einzelne Wort kann niemals 
der Repräsentant eines Gegenstandes sein. 

Daß dem in der Tat so ist, dies wird auch für die Anhänger der 
bisherigen Logik ohne weiteres ersichtlich werden, wenn sie sich an 
den Ausspruch des Begründers der Logik erinnern, nach dem solange, 
als dem Worte nicht hinzugefügt ist, ob es bejahend oder verneinend 
gebraucht werden soll, von einem Gegenstande überhaupt noch nichts 
ausgesagt ist, Daraus geht aber hervor, daß nicht einmal die Existenz 
(d.h. das „Was‘‘) des Gegenstandes vermittelst des bloßen, d.h. 
isolierten Wortes bestimmt werden kann. Denn entweder ein Gegen- 
stand ist — dies hätte die Bejahung zu bezeichnen — oder ein 
Gegenstand ist nieht — dann müßte die Verneinung gebraucht werden, 
um den Sachverhalt richtig anzugeben. Man kann mithin die Erklärung 
des großen Griechen, erst das Hinzufügen von Bejahung und Ver- 
neinung verleihe dem Worte die Macht, etwas von dem Gegenstande 
auszusagen, 50 ergänzen, dab man den Schluß bildet: das 
Wort für sich vermag irgendein Abbild eines Gegenstandes nicht zu 
geben. Es fehlt nämlich das Analogon oder Sprachsymbol des Zu- 
standes, in dem der Gegenstand sich doch befinden muß, um 
überhaupt wahrgenommen werden zu können, 

Man hat, um auch dieses Argument nicht unerörtert zu lassen, 
oft eingewendet, der Begriff stelle ein Unveränderliches dar, woran 
das Erkennen anknüpfe; den Wahrnehmungen selbst oder ihren 


Der Begriff. 323 


Abbildern komme demgegenüber Stabilität nicht zu, sie wendeten 
uns vielmehr, von des Raumes und der Zeit Wellen getragen, in jedem 
Augenblick ein anderes Gesicht zu. Wäre dem in der Tat so, d, h. 
verbürgte nur der Begriff den bleibenden Denkinhalt, so könnten wir 
ihn beim Erkennen nicht entbehren; denn das Vorhandensein einer 
scharf bestimmten Einheit, die wir zu einem andern Denkinhalt in Be- 
ziehung setzen, ist die Vorbedingung jedes Erkenntnisaktes. 

Es würde verfehlt sein und nicht den Kern der Sache treffen, 
wollte man denen beipflichten, die jede Unveränderlichkeit des Begriffes 
damit abweisen zu können glauben, daß sie die billige Behauptung 
ins Gefecht führen, auch der Begriff sei variabel, da er sich oft im 
Laufe der Jahre, Jahrzehnte oder Jahre völlig ändere. So habe sich 
z. B. der Begriff „‚Frau‘“ vielfach gewandelt: die asiatischen, griechi- 
schen, germanischen, romanischen Völkerschaften, sie alle hätten 
voneinander wesentlich abweichende Begriffe von der „Frau‘‘ gehabt, 
gar nicht zu reden von dem Begriff, den unsere Zeit mit der „Frau“ 
verbindet. Aber, wie gesagt, auf diese historischen Unterschiede 
und Wandlungen kommt es für unsern Fall gar nieht an. Wir for- 
mulieren die Frage: worin besteht die Einheit (d. i. das Beharrende), 
die den Erkenntnisakt überhaupt erst möglich macht? Lautet die 
Antwort: diese Einheit liefert nur der Begriff, so ist dessen not- 
wendige Existenz oder Konstituierung gesichert. 

Das als wesentlich geforderte Kriterium des Begriffes — wir 
haben es schon eben erwähnt — besteht darin, daß er mit seinem 
Gegenstand übereinstimmen muß. Angenommen, der Begriff re- 
präsentiere eine unveränderliche Einheit des Erkenntnisaktes, so 
müßte auch der ihm korrespondierende Gegenstand für uns eine 
Einheit bedeuten. Andererseits vermögen wir doch, dies wird all- . 
seitier zugegeben, neben den Begriffen auch Vorstellungen 
von den Dingen zu bilden, d. s. Abbilder der Einzeldinge, die 
uns von den Gegenständen Kenntnis geben. Auch diesen Abbildungen 
oder Vorstellungen muß demnach das Prädikat der Einheit zukommen, 
oder, um es erkenntnistheoretisch auszudrücken: die Einheiten, 
die uns die Begriffe garantieren sollen, müssen 
inden Gegenständen selbst liegen. Es bedarf also 
um diese Bestimmtheit oder Einheit zu begründen, nicht erst der 
Einführung des Begriffs; das Phänomen der Einheit entsteht, s0- 
bald wir nur Kenntnis von den Dingen erhalten, d. h. sobald 
wir uns nur Vorstellungen von ihnen bilden. 


324. A. Levy, 


Ganz ähnlich verhält es sich mit einer anderen zur Ehrenrettung 
des Begriffs gemachten Bemerkung. Der Begriff soll die Eigentüm- 
lichkeit an sich haben, daß er, sobald man ihm die ihm wesent- 
lichen Merkmale aufhebt, auch seine eigene Bedeutung verliert. 
Nimmt man z. B, einem Baume die Blätter, so wird man nicht an- 
stehen, ihn trotzdem zu den Bäumen zu rechnen; auch der Verlust 
der Früchte würde hieran kaum etwas ändern; läßt man indessen 
die Äste und Wurzeln des Baumes verschwinden, so wird man in 
bezug auf das Übriggebliebene wohl nieht mehr von einem Baume 
sprechen können: Wurzeln und Äste waren für die Konstituierunr 
des Denkinhalts „Baum“ wesentlich. 

Auch hier ist es nieht mit der leicht gefundenen Entgegnung 
getan, man habe bloß das Wort, d. i. die Bezeichnung geändert, da 
sie nach dem Wegfall jener wesentlichen Merkmale nicht mehr dem 
zu verkörpernden Denkinhalt „Baum‘‘ entspräche; deshalb setze man 
dafür das Wort „Stamm“ oder desgleichen, Damit ist aber nichts 
erklärt. Wir wollen ja gerade wissen, warum wir die Bezeichnung 
ändern müssen, mit andern Worten, warum der ursprüngliche Denk- 
inhalt sich gewandelt hat. Die Einsicht in das erkenntnistheoretische 
Problem, um das es sich hierbei handelt, kann dem Lernenden aus 
didaktischen Rücksichten erst später im Laufe der ganzen Darstellung 
verschafft werden. Irgend ein Argument für die Notwendizung der 
Beibehaltung des Berriffes gibt jedoch auch jene, oft herangezugene 
Erwägung nicht an die Hand. Denn, um es zu widerholen, der Begriffe 
soll ja mit seinem Gegenstande übereinstimmen; dieser muB alsn 
alle die Phasen durchmachen, die an dem Begriffe bemerkt werden. 
Die Kenntnis des Gegenstandes wird uns nun zugegebenermaßen 
- dureh die Vorstellung mitgeteilt, woraus hervorgeht, daß auch diese 
da nach dem Gesarten die wesentlichen Merkmale für das Ding 
von Bedeutung sein müssen, die oben zur Sprache gebrachte Eigen- 
tümlichkeit mit dem Begriffe teilt. Wir sind daher auch in dieser 
Beziehung nicht auf den Begriff angewiesen. 

Mehr und mehr gewinnt endlich die Auffassung an Boden, die 
in der Definition oder Berriffsbestimmung eine reine Worterkläruns 
erblickt; die Gegensätze zwischen den Verfechtern der Realdefimition 
und den Kämpfern für die Nominaldefinition beginnen sich allgemach 
zu nivellieren, und man bekennt sich in der Majorität wohl in beiden 
Lagern zu dem Satze, daß eine Definition geben, soviel heißt, wie 
die Grenzen der Wortbedeutung absteeken. So gibt z. B. die De- 


Der Begriff. 325 


finition des Hundes das an, was man unter dm Worte „Hund“ 
versteht. Diese wachsend an Anhängern gewinnende Theorie ver- 
schuldet es nicht zum kleinsten Teile mit, daß es um die Erhaltung 
des ehrwürdigen Requisits „Begriff‘‘ recht schlimm aussieht; denn 
die Definition sollte nach altem Brauche die „wesentlichen Merkmale“ 
des Begriffs vorführen, und wenn sie diese wesentlichen Merkmale 
einem Worte — als Nominaldefinition — anheftet, so bleibt eigentlich 
von dem Begriffe selbst nichts mehr übrig als der bloße Name. Aber 
auch dieser muß — und darauf bestehen wir unbedingt — aus der 
Logik verschwinden, damit nicht, von irgend einem Irrenden gerufen, 
eines Tages von neuem das Phantom „Begriff‘“ aus der Schattenwelt 
heraufsteige und das unglückselige Spiel des „formalen Denkens“ 
wieder beginne. ' 

In der richtigen, wenn auch noch unklaren Erkenntnis, daß der 
Begriff etwas Selbständiges doch wohl nicht sei, haben einzelne Denker 
ihm einen Platz neben den eigentlichen Denkinhalten, d. i. neben 
den Vorstellungen zuerteilt. An dieser Stelle soll dem Begriff dann die 
Funktion zufallen, die Beziehung der Denkinhalte zueinander möglich 
zu machen, kurz, das treibende Moment beim Aneinanderreihen, 
Gruppieren und Vergleichen der Vorstellungen zu bilden. Wenn dem 
so ist, so ist eigentlich nicht recht einzusehen, weshalb überhaupt noch 
von jenem Schemen gesprochen wird und weshalb man nicht kalten 
Blutes jene Fähigkeit des Vergleichens usw. den Denkinhalten (Vor- 
stellungen) selbst zuschreibt. Dann würden auch wir uns gern mit 
dem Begriffe einverstanden erklären, nämlich, wenn man darunter 
das Phänomen versteht, das die Denkinhalte miteinander verknüpft, 
das sie miteinander vergleicht und das sie unterscheidet usw. Denn, 
haben wir auch die Begriffe als Worte, die im quantitativen Verhältnis 
zueinander geordnet sind, erklärt, so muß es doch etwas geben, das 
diese auf Vergleichen beruhende Gruppierung konstituiert. Die 
Frage nach den Begriffen reduziert sich uns mithin auf die nach 
dem einen Begriff, nämlich nach dem Begriff der Gleich- 
heit. Wir geben jedoch auch den Namen Begriff auf und unter- 
suchen das Wesen des Vergleichens und der Vergleichung, wobei wir 
ganz ohne den landläufigen „Begriff‘‘ auskommen werden. Vorher ist 
aber noch eine kurze Erörterung der Verbindung nötig, in der nach 
der formalen Logik die Begriffe angeblich eine Hauptrolle spielen 
sollen: des Urteils.